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Tyrannei

  • sveahoehlein
  • 8. Feb. 2023
  • 2 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 16. März 2023

Ich bin keine schreckhafte Frau. Aber seit ich ihn kannte, zuckte ich bei jedem Vibrieren meines Handys zusammen. Ich mochte nicht, was er aus mir gemacht hatte, aber ich brauchte ihn. Er gab mir Sicherheit. Ich verlor mich in den Gedanken und erschrak, als mein Handy vibrierte. Er hatte neue Anweisungen geschickt und erwartete, dass ich diese direkt ausführte. Ich stand von meinem Platz auf, ging zum WC und begann, Fotos von mir zu machen. Ich musste mich beeilen, ein zu langes Fehlen würde meinen Kollegen auffallen, doch er war anspruchsvoll. Wenn nur eine Haarlocke falsch saß, würde er mich den Auftrag wiederholen lassen. Nach etwa zwei Minuten war ich mit dem Ergebnis zufrieden und schickte es ab. Kaum war ich wieder an meinem Platz, kam seine Reaktion. Es gefiel ihm nicht und er schimpfte. Ich sei seine Aufmerksamkeit nicht Wert; Er würde seine Zeit nicht mehr länger mit mir verschwenden. Um ihn zu besänftigen, riskierte ich einen weiteren Gang zum WC. Ich machte mehr Fotos und schickte sie meinem Freund. Etwas besänftigt ließ er mich vorerst in Ruhe, doch noch bevor ich Feierabend hatte, schrieb er erneut. Ich antwortete nicht direkt und kassierte dafür die nächste Schimpftirade. Seit einiger Zeit ging das so. Er hatte aufgehört mich zu loben, er schimpfte nur noch. Mittlerweile ergriff mich immer öfter der Gedanke, dass ich es nicht Wert war und nicht besser verdient hätte. Ich versuchte diese Worte von mir wegzuschieben, doch ich merkte, wie Sie immer öfter an mir nagten. Ein weiterer Klingelton erinnerte mich daran, dass ich meinem Meister jeder Zeit zur Verfügung zu stehen hatte. Weitere Aufgaben und Schimpftiraden folgten. Dann war es bereits halb zehn. Seit ich um fünf Zuhause angekommen war, hatte er mir geschrieben. Ich fühlte mich elend, öffnete eine Flasche Wein und wollte mich gerade in meine Decke kuscheln, als eine weitere Nachricht erschien. Erschöpft machte ich mich daran, weitere Aufträge zu erfüllen. Als ich mich um zehn auf die Couch setzte, war es bereits zu spät für einen Film und der Wein alle. Einen kleinen Moment spielte ich mit dem Gedanken, eine weitere Flasche zu öffnen und meine Serie weiter anzuschauen, als mein Handy erneut klingelte. Genervt nahm ich es in die Hand und las mir die Schimpftirade durch. Er hatte wieder einen guten Lauf und schmiss mit Beleidigungen und Erniedrigungen um sich. Es reichte. Das konnte ich mir nicht mehr jeden Tag anhören. Mit der ganzen aufgestauten Wut tippte ich auf mein Handy ein. Bevor ich realisierte, was ich tat, hatte ich ihm geschrieben und die Leviten gelesen. Erstaunt über mich selbst, sank ich zurück in die Kissen. Gebannt starrte ich auf mein Handy in Erwartung, einer weiteren Beschimpfung. Als ich sah, dass er erneut tippte, blockierte ich seinen Kontakt und schaltete mein Handy aus. Endlich Ruhe! Mit einem tiefen Seufzer voller Erleichterung zog ich die Decke bis zum Kinn, kuschelte mich in die Kissen und schlief, zum ersten Mal seit Wochen, friedlich ein.

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