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Lügen

  • sveahoehlein
  • 26. Juli 2023
  • 3 Min. Lesezeit
Ich glaube, ich sollte mal ehrlich sein. Nicht nur zu anderen, vor allem zu mir selbst. Denn am liebsten belüge ich mich und das seit Jahren schon. Aber mit welcher Lüge fange ich an? Vielleicht mit der häufigsten. Wie die meisten Menschen auch antworte ich auf die Frage: „Wie geht es dir?“ mit gut. Wobei gut meist eine maßlose Übertreibung ist. Ich setzte lieber meine Maske aus Fröhlichkeit und einem Lächeln auf, als erklären zu müssen, wie es wirklich in mir aussieht. Und hier die Lüge mir selbst gegenüber: Um so länger ich die Maske trage, um so länger ich so tue, als ginge es mir gut, um so mehr glaubt mir mein Verstand. Mein Herz und meine Seele wissen, dass die Maske eine Lüge ist. Doch ich höre ihnen nicht zu, ignoriere mein Herz und lasse es verstummen.
Eine weitere Lüge: Die Zigaretten ganz unten in meiner Handtasche. Ein stetiger Begleiter für den ich mich so sehr schäme, dass ich es nie zugeben könnte, dass sie da sind. Doch ganz tief, im hintersten Eckchen meines Verstandes weiß ich es. Ich gaukel mir vor, dass das kein Problem wäre, solange sie dort unberührt liegen. Doch die Wahrheit? Ich könnte sie nicht aus der Handtasche nehmen, für die Fälle, in denen sie nicht unangetastet bleiben. Sie sind meine Flucht, ein Mittel zur Bestrafung. Mit ihnen kann ich das Gefühl von Kontrolle aufrecht erhalten, obwohl mir diese lange entglitten ist.
Die nächste Lüge: Die Flasche ist nicht schon eine Woche alt. Ich hatte sie gestern Abend mitgebracht und auf das erste Glas folgte das zweite, ein drittes war auch noch okay und plötzlich war die Flasche leer. Ich habe nur verschwommene Erinnerungen an den Abend und die Nacht. Aber das ist okay, denn so konnte ich auch nicht Träumen. Es ist okay: Die größte Lüge, die ich mir selbst je versucht habe einzureden. Die Flaschensammlung erzählt von den letzten Tagen, an denen es auch schon okay war und mein schmerzender Körper schreit nach einer Pause, doch ich sage meinem Verstand, es ist okay.
Noch eine Lüge: Flashbacks. Ich erzähle, das wäre normal und das sie schon besser geworden sind. Meinem Verstand sage ich, dass es schon aufhören wird und bis dahin sei es ja erträglich. Doch mein Herz weiß, dass jedes Flashback grausamer ist, als das zuvor. Eine zufällige Berührung in der Bahn, die Flashbacks sind heftig und lassen die Funktionen meines Körpers aussetzen. Jenes Lied, welches er so sehr gemocht hat und die Flashbacks schnüren mir die Kehle zu, lassen meinen Körper unkontrollierbar zocken und sich selbst zerstören, die Tränen bilden kleine Pfützen zu meinen Füßen. Der Alkohol, den ich damals zum ersten und letzten Mal getrunken habe löst ein weiteres Flashback aus, dessen Ausmaße unerträglich und beinahe tödlich sind. Doch noch immer sage ich, das es besser werden wird und diese Reaktionen normal sind. Über diese Lüge verstummt mein Herz und die inneren Schreie erlöschen, ich bin ausgebrannt, habe mich innerlich selbst getötet. Nur mit meinen Lügen und dem verzweifelten Versuch, die Kontrolle zu behalten. Wären das doch nur alle Lügen…
Lüge Nummer 4: Ich vermisse jemanden, ohne sie wirklich kennengelernt zu haben. Ich habe niemals dein Lachen, weinen oder deine Schreie gehört. Doch du warst ein Teil von mir, der nun fehlt und unwiederbringlich fort ist. Mein Engel kann nicht zurück und ich rede mir ein, dass es so besser ist. Dein Vater war ein furchtbarer Mensch, auch der Rest deiner Familie hätte dich zerstört, ich war nicht bereit und hätte dir nicht geben können, was du gebraucht hättest. Es sind Ausreden, die mir als Entschuldigung dienen sollen. Doch in Wahrheit sind es weitere Lügen, die mein Herz zerfressen und nur Schmerzen hinterlassen.
Alle diese Lügen haben sich in meine Haut gebrannt, ich kann sie nicht mehr entfernen. Ich bin zu meiner Maske geworden. Die Klinge blitzt auf und für einen Moment ist die Maske durchlässig, solange ich versuche, meinen Inneren Schmerz von außen zu bekämpfen und wieder zum Schweigen zu bringen. Meine Hände erzählen eine Geschichte von äußerem Schmerz, doch sollte jemand jemals mein Herz zu Gesicht bekommen, werden die äußeren Narben eine Kleinigkeit gewesen sein.
 
 
 

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