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Zwei

  • sveahoehlein
  • 24. Nov. 2024
  • 2 Min. Lesezeit
Die Sonne scheint durch das Blätterdach über meinem Kopf, hinterlässt ein Muster auf dem Stein. Der Stein, auf welchem eure Namen stehen. Zwei Namen, aber auch nur zwei Daten. Zwei Todesdaten, die Geburtsdaten fehlen. Sie existieren nicht. Ein buntes Meer aus Farben zieht sich über die Erde, zwischen den Begrenzungen aus Stein. Ich gehe zum Brunnen, fülle eine Gießkanne mit Wasser und versorge die Blumen auf dem Grab. Mehr kann ich für euch nicht mehr tun. Konnte ich nie, denn als ihr starbt, wart ihr für mich noch unerreichbar. Ich setze mich auf das Gras vor dem Grab und rede mit euch. Ich erzähle von meinem Tag, von der Arbeit und dem Buch, dass ich gerade Lese. Ich erzähle, dass euer großer Bruder eine neue, verrückte Idee hatte und euer kleiner Bruder neuen Blödsinn gelernt hat. Ich lächel’ bei der Erinnerung an den Quatsch, doch das Lächeln verwandelt sich in Wehmut. Wehmut nach etwas, dass nie existiert hat und auch nie existieren wird. Nach euren Stimmen, nach eurem Lachen. Der Wunsch, eure kleinen Hände in meinen zu spüren, wenn ich mit euch Spazieren gehe und euch vor anderen, unvorsichtigen Mitmenschen schütze. Nach eurem Kreischen, wenn ihr beim Schaukeln fast die Wolken berühren könnt und euren Tränen, wenn ihr beim Spielen über eure eigenen Füße gestolpert seid. So viele, sonst Selbstverständlichkeiten, vermisse ich. Ich sehne mich nach ihnen, ohne sie je erlebt zu haben. Weil ihr nicht mehr da seid. Weil ihr nie ganz bei uns angekommen seid. Verstorben im Mutterleib. Einer der grausamsten Wege, einen Menschen zu verlieren, Geschwister zu verlieren. Sie hat so lange gekämpft…
Die Sonne geht langsam unter, es wird immer kälter. Der kalte Hauch des Todes, der sich Nachts über die Gräber senkt. Sie verschließt in ewiger Stille. Ich erzähle euch noch eine Geschichte. Eine Geschichte von Prinzessinnen, Helden und bösen Schurken. Von Ungeheuern, Spielleuten und Hoffnung. Von einem Happy End. Es ist ironisch, denn für euch gibt es schon lange kein Happy End mehr. Nicht in dieser Welt. Vielleicht habt ihr tatsächlich ein besseres Leben in einer anderen Welt gefunden, vielleicht gibt es den Himmel. Doch ich glaube nicht mehr daran. Seit ich erlebte, wie ungeborene Kinder aus dieser Welt gerissen wurden, glaube ich nicht mehr daran. Doch um euret Willen, habe ich Hoffnung. Hoffnung auf ein Paradies, in dem ihr glücklich Spielen könnt. Gäbe es Gerechtigkeit, würde die Hoffnung gewinnen, nicht der Tod. Doch am Ende gewann der Tod. Er gewinnt immer. Er hat das letzte Wort.
 
 
 

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